Ist Sport neutral? „Natürlich nicht“, antwortet Sievana Dodo und erinnert an den „Wolfsgruß“ des türkischen Nationalspielers Merih Demiral. Für dieses politische Symbol sperrte ihn die UEFA jüngst für zwei Spiele.

Ermöglicht Sport Teilhabe und Ausschluss? „Natürlich“, sagt Emma Stricker und verweist auf das EM-Achtelfinalspiel, bei dem in Leipzig die österreichische Nationalmannschaft auf die türkische Nationalmannschaft traf und sich bis dato unbekannte Fans beider Teams anhand ihrer Nationaltrikots sofort identifizierten, verbrüderten - und gegen die jeweils gegnerische Mannschaft lautstark skandierten.

Durchdringen Antisemitismus und Rassismus die Gesellschaft bis heute? „Free Gigi“, kommentiert Lukas Hilla. „Sylt“, ergänzt Linus Pieper. Die Untermalung des Songs mit rassistischen Parolen waberte auch in den EM-Spielstätten Leipzig und Berlin.

Im Haus des Sportes im Berliner Olympiastadion, also in unmittelbarer Nähe der EM-Spielstätte, rekapitulierten die Q1-Schülerinnen im Workshop „Sport.Masse.Macht“ die zentralen Diskurse und Begegnungen der „Friedensfahrt 2024“. Diese endete nach acht Tagen in der Hauptstadt. Ein Besuch des Bundestages mit Plenardebatte und einem Gespräch über die Wehrpflicht, Energieversorgung und Auswirkungen des Krieges in der Ukraine mit dem fahrradpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, MdB Henning Rehbaum, inklusive. „Ich fand es spannend zu sehen, dass unsere parlamentarische Demokratie gewissen Spielregeln unterliegt und es im Parlament auch eine klare Debattenkultur gibt“, sagt Mylica Gans nach ihrem ersten politischen Mal.

Zuvor hatten die „Friedensfahrer“ des Projektkurs Geschichte in Leipzig nicht nur das EM-Achtelfinale miterlebt (die hautnahe Ankunft der türkischen Nationalmannschaft und ein nicht enden wollender Autokorsos inklusive), sondern standen auch „Mitten in der Kurve“: In einem Workshop setzten sie sich mit jüdischer Fan- und Fußballkultur auseinander, begegneten Betroffenen von modernem Antisemitismus im Fußballstadion. Fazit: „Free Gigi“. Fußball ist nicht neutral, hat (noch) nicht allenorts eine kultivierte, freiheitlich-demokratische Fan- und Debattenkultur.

Dass letztere keine Selbstverständlichkeit ist, sondern erst mühsam erstritten werden musste, machten die intensiven Zeitzeugengespräche einer ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin und dem damaligen Schüler Thomas Glaubig in Leipzig und Wittenberg deutlich: Beide gehörten in der DDR der Kirche an, beide versuchten, sich dem Einfluss und der umfassenden Indoktrinierung des SED-Staates zu entziehen - beide erlitten Repressionen.

Während Glaubig seine Weigerung, nicht in die Jugendorganisationen der SED einzutreten, das Abitur und Studium kostete, erfuhren die Kinder der Leipziger Bürgerrechtlerin nicht nur im Jahr 1989 aufgrund der selbstbestimmten Entscheidung ihrer Mutter im Alltag immer wieder Nachteile. MGH-Schüler Hayrettin Toksoy war beeindruckt: „Die Fahrt war äußerst bereichernd und hat mir ein tiefes Verständnis für das Leben in der DDR vermittelt. Besonders beeindruckend fand ich die Einblicke in den Alltag und gesellschaftliche Strukturen zu dieser Zeit.“

Fahrrad gefahren wurde zwischendurch übrigens auch noch. Nach knappen 500 Kilometern erreichten die „Friedensfahrer“ mit ihren Lehrern Christian Schröter und Dr. Andrea Kolpatzik dann nach einer letzten, 120 Kilometer langen Etappe die Hauptstadt.Im Dauerregen zwar, doch die gute Laune hielt: „Ich fand die Fahrt ein tolles Erlebnis. Zumal man das nur ein Mal im Leben macht - mit dem Fahrrad nach Berlin zu fahren“, sagt Jan Omar. Recht hat er. Doch wer weiß, vielleicht gibt es ja eine Wiederholung.

Förderhinweis

Die Deutsche Bahn Stiftung
unterstützt die Friedensfahrt 2024 mit 4000 €.

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