Schüler des MGH testen digitale Führungen durch Auschwitz-Birkenau
von Stefan Gehre
Hamm-Westen – Für die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sind die neuen digitalen Live-Führungen durch das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau eine „aktive Antisemitismusprävention“. Schülern des Märkischen Gymnasiums Hamm wurde am Dienstag die Ehre zuteil, als eine von wenigen Pilotschulen im Land das neue Führungskonzept der Gedenkstätte zu testen. Die Einladung dazu kam von der Auschwitz-Birkenau-Foundation.
Zum Projekt
Mehrere Länder und private Sponsoren haben die Entwicklung eines virtuellen Online-Rundgangs durch die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau unterstützt. Allein die Vereinigten Staaten steuerten eine Million US-Dollar bei. „Damit Menschen, die sie nicht besuchen können, die unauslöschliche Wirkung des Besuchs dieser Stätte erleben können“, so US-Außenminister Antony Blinken. Der Präsident der Stiftung Auschwitz-Birkenau und der Direktor des Auschwitz Museums, Dr. Piotr MA Cywinski, sieht darin auch einen Bildungsauftrag. Und weiter heißt es auf der Homepage der Stiftung: „Die Entwicklung dieser Technologie und die Nutzung der Plattform für Bildungszwecke werden es uns ermöglichen, gemeinsam die tragischen Erfahrungen der Opfer und Überlebenden von Auschwitz zu bewahren und sie weltweit zu verbreiten.“ Im Zeitalter der Polarisierung und wachsender sozialer Spannungen scheine der Einsatz von Instrumenten, die es ermöglichen, ein immer breiteres Publikum zu erreichen, eine Notwendigkeit zu sein.
Begleitet wurden die Schüler von einem Guide, der sie rund eineinhalb Stunden lang durch das Stammlager I führte. Passend zum jeweiligen Ort wurden zwischendurch Zeitzeugeninterviews, Zeichnungen sowie Fotos von Holocaustopfern eingespielt. Zudem hatten die Schüler die Möglichkeit, die Führung für Rückfragen jederzeit zu unterbrechen.
Aufgrund technischer Probleme klappte das in den ersten Minuten nicht ganz. Später lief die Führung dann aber rund – und lieferte den Schülern einen beklemmenden Einblick vom „Leben“ in Auschwitz-Birkenau. Die Reise führte sie von den Schlafbaracken über das Gefängnis, den Appellplatz, die Gaskammern und die Krematorien bis hin zu den Rampen, an denen die Juden und andere Häftlinge ankamen. Während der Führung erfuhren die Schüler erschreckende Details über standrechtliche Erschießungen sowie entwürdigende und menschenverachtende Schikanen, denen die Inhaftierten ausgesetzt waren. Da waren zum Beispiel die Dunkelzellen oder Stehgefängnisse, in denen sie oft tagelang ausharren mussten – weil sie aus Sicht der Nazis ein „Verbrechen“ begangen haben sollen. „Ein solches war es schon, wenn sie keine Mütze getragen haben“, erklärte der Guide.
Besonders beklemmend waren die Szenen, in den Fotos von Häftlingen – vom Baby bis zum Greis – eingespielt wurden. Sie zeigten den Jugendlichen, dass hinter jedem Schicksal ein Mensch steht – stellvertretend für rund sechs Millionen ermordete Juden während des Zweiten Weltkriegs.
80 Jahre später gibt es in Deutschland noch immer viele Juden-Hasser, wie die Demonstrationen in Zusammenhang mit dem Krieg im Nahen Osten zeigen: Das Thema „Antisemitismus“ ist aktueller denn je.
Bei den Schülern des Q1-Projektkurses Geschichte und der AG „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ von Christian Schröter und Dr. Andrea Kolpatzik, von denen einige im Frühjahr direkt vor Ort waren, kam das neue Angebot gut an. So erklärte Sievanna, dass eine digitale Führung durch die Gedenkstätte eine gute Ergänzung zur Quellenarbeit im Geschichtsunterricht sei. Letztere sei natürlich notwendig, aber eben auch etwas „trocken“ und nicht interaktiv. Sie regte an, digitale Auschwitz-Führungen fest im Geschichtsunterricht am Märkischen Gymnasium zu verankern.
Ähnlich äußerte sich Linus, der es begrüßte, dass digital nun mehr Schüler des MGH die Möglichkeit hätten, an einer Führung durch die Gedenkstätte teilzunehmen. Denn: Nicht jedem sei es möglich, sie in Polen zu besuchen.
Positiv bewertete auch Moritz das neue Führungsangebot. Digital hätten die Schüler die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen oder auch die Führung zu „steuern“.
Einschränkungen machten die Schüler bei der Authentizität und Emotionalität. Der Charakter der Führung sei, im Gegensatz zu einer Führung vor Ort, ein anderer, da die Schüler nicht so unmittelbar emotional eingebunden waren.
Weitgehend einig waren sich die Jugendlichen darin, dass das KZ Auschwitz-Birkenau „wie kein anderes für den Holocaust und die unmenschlichen Auswirkungen der NS-Ideologie steht“.
Gast an diesem Nachmittag war Bezirksbürgermeister Axel Püttner, der das Konzept ebenfalls lobte.
aus dem WA vom 27.10.2023