Franz Müntefering packt am MGH Themen an, die Jugendliche bewegen
von Stefan Gehre
Hamm-Westen – SPD-Urgestein Franz Müntefering nahm sich viel Zeit. Zugeschaltet aus dem Willy-Brandt-Haus in Berlin, diskutierte er fast zwei Stunden lang mit Schülern des Märkischen Gymnasiums und des Humboldt-Gymnasiums in Eichwalde bei Berlin über Globalisierung, Klimaschutz, den Zusammenhalt der Gesellschaft und Rassismus – Themen, die viele Jugendliche bewegen. Und obwohl zwischen dem ehemaligen Vize-Kanzler und den Schülern rund 65 Altersjahre liegen, traf er mit vielen seiner Aussagen ihren Nerv.
Die Diskussion war Auftakt der von Dr. Andrea Kolpatzik (MGH) und Hendrik Küpper (Humboldt-Gymnasium) initiierten Reihe „Religion, Kultur, Moral und Kapital: Was hält unsere Gesellschaft zusammen?“, in deren Verlauf noch mit weiteren – ehemaligen Spitzenpolitikern gesprochen werden soll. Das freut auch Schulleiter Florian Rösner: Angesichts von 17 verschiedenen Muttersprachen sei das MGH eine internationale Schule. Um so wichtiger sei der heutige Abend – ein Abend, zu dem Rösner auch Sandra Pohl, Fachdezernentin Geschichte bei der Bezirksregierung Arnsberg, begrüßte.
Sie ist gleichzeitig Schirmherrin der Friedensfahrt 2021, an der, wenn es Corona zulässt, im Sommer auch einige Q1-Schüler des MGH teilnehmen wollen.
Derartige Aktionen sind auch Müntefering wichtig. Den Schülern gewährte er einen kurzen Einblick in sein Leben: Aufgewachsen im Sauerland, habe er sich angesichts der Gräueltaten des NS-Regimes lange Zeit mit dem „Deutschsein“ schwergetan. Noch als Juso sei er dagegen gewesen, dass die SPD auf ihren Plakaten die Deutschlandfahne zeigt. Der 81-Jährige warb für die Demokratie und die für den Zusammenhalt der Gesellschaft so wichtige Solidarität. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zitierte Müntefering Paragraf 1 des Grundgesetzes – und forderte die Schüler auf, sich einzumischen. Denn: „Nicht handeln lässt zu.“ Eine eigene Meinung zu haben, reiche aber nicht aus. Wichtig seien eine begründete Überzeugung und Urteilsfähigkeit. Auch er habe etwas verändern wollen. Daher sei er in die SPD eingetreten.
Müntefering weiß allerdings auch: „Die Probleme dieser Welt können nicht national gelöst werden.“ Ein Beispiel sei der Klimaschutz. Deutschland mache gerade einmal ein Prozent der Weltbevölkerung aus. Allein könne man kaum etwas bewegen. Hier seien alle Länder gefragt, so Müntefering, der als warnendes Beispiel die Abholzung des brasilianischen Regenwaldes nannte. „Wir müssen beim Klimaschutz auf die Tube drücken. Wenn das so weitergeht wie jetzt, wird das auch katastrophale ökonomische Folgen haben.“
Louis, Schüler des MGH, wollte von Müntefering wissen, wie er das SPD-Verbot in der NS-Zeit sehe. Der 81-Jährige erinnerte daran, dass der Reichstag vor genau 88 Jahren das Ermächtigungsgesetz beschlossen habe – gegen die Stimmen der bereits dezimierten SPD-Fraktion: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, zitierte er den damaligen SPD-Vorsitzenden Otto Wels.
Aber auch die aktuelle Politik kam zur Sprache. Alexander wollte wissen, welchen Kanzler er sich wünsche: Markus Söder oder Armin Laschet? „Keinen“, sagte Müntefering. Und er glaube, dass die Sache auch noch nicht entschieden ist. „Söder wird nur antreten, wenn er sichersein kann, dass er gewinnt. Tritt er nicht an, muss Laschet ran.“ Mit Blick auf den Umgang mit der AfD sagte er, dass es wichtig sei, hier die richtigen Antworten auf ihre Aussagen zu finden und die Menschen zu überzeugen. Und auch Corona war ein Thema: Aus seiner Sicht hat das Parlament zu wenig Handlungsfähigkeit. Das führe zu Politikverdrossenheit. Denn: „In ihm sitzen die Vertreter des Volkes. Wir müssen die Parlamente stärken und verändern“, so seine klare Botschaft.
Mit Blick auf die Bundestagswahl am 26. September schlug Müntefering den Schülern des MGH vor, eine Projektgruppe „269“ ins Leben zu rufen. Die könne zum Beispiel Stimmungen aufzeigen. Zudem warb er für den Digital-Kompass Standort Hamm. Angedockt an die Freiwilligenzentrale, schulen hier ehrenamtliche Internet-Lotsen ältere Menschen im sicheren Umgang mit dem Internet und digitalen Diensten. Er würde sich freuen, wenn sich auch Schüler des Märkischen dafür zur Verfügung stellen könnten.
Diese Idee begeisterte auch Rösner. Und: Demnächst wolle er sich mit seinem Kollegen Dr. Thomas Willich aus Eichwalde treffen, um mit ihm über eine Kooperation beider Gymnasien zu sprechen.
aus dem WA vom 26.3.2021