Lamya Kaddor diskutiert mit MGH-Schüler*innen über Alltagsdiskriminierung

„Wer ist denn eigentlich deutsch?“. Diese Frage stellte Lamya Kaddor, Mitglied des Bundestages für Bündnis 90/ Die Grüne, gleich zu Beginn des Gespräches mit den Schülern des Projektkurs Geschichte von Dr. Andrea Kolpatzik. Die Jugendlichen hatten die 44 Jahre alte Politikerin eingeladen, um im Rahmen der MGH-Gesprächsreihe mit ihr über den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu diskutieren.

 „Nach wie vor hält unsere Gesellschaft das Deutschsein zusammen“, sagte die aus Syrien stammende Kaddor. Doch damit fingen die Probleme erst an: Ideen und Versuche, das Deutschsein über die Herkunft abzuleiten, seien veraltet. Denn die Bundesrepublik sei ein Einwanderungsland, deshalb müsse der gesellschaftliche Zusammenhalt neu gedacht werden: „Eigentlich ist es doch das Bekenntnis, dass dieses Land mit seinen Werten für mich identitätsstiftend ist und ich mich dazugehörig fühle“. Denn: Sein Geburtsland könne man sich in der Regel nicht aussuchen, Pass und Geburt als Kriterien der Zugehörigkeit funktionierten deshalb nicht.

 Diese These untermauerte Kaddor mit ihrer eigenen Biographie – und traf damit einen Nerv bei den anwesenden Schülern: Ihre Eltern seien beide Syrier. Sie gingen ganz selbstverständlich davon aus, dass auch ihre Tochter arabisch sei. Diese habe sich so  aber gar nicht gesehen. Bereits im Kindergarten wurde Kaddor mit weiteren Fremdzuschreibungen konfrontiert, dort galt sie als das türkische Mädchen. „Wie ich mich fühle, hat niemanden interessiert“, so Kaddor.

 Auch deshalb engagierte sich die islamische Religionslehrerin früh in der Politik und vor allem für Integration. Denn: „Ich werde immer gezwungen, mich zu erklären. Eine Michaela Schmidt vielleicht nicht“, sagte sie. Ihr Appell: „Wir müssen lernen, tolerant und mutig gegenüber so vielen unterschiedlichen Positionen zu sein.“

 Überhaupt können Integration nur gelingen, wenn sich die Minderheit dazugehörig fühlt – hier sieht Kaddor die Mehrheitsgesellschaft in der „Bringschuld“, Angebote zu machen. Eine Überlegung, für die sie im Jahr 2018 zahlreiche Morddrohungen erhielt und sich deshalb für vier Jahre vom Schuldienst beurlauben lassen musste. Doch Kaddor machte weiter: „Ich bin Überzeugungstäterin. Wer A sagt, muss auch B sagen, aber das fasst einen natürlich auch schon an. Das Schlimmste: Man gewöhnt sich an diese Anfeindungen.“